Erkenntnisse vom 10. Simon Weber & Friends (SWF) Forum: Paradoxien im Fokus
Dieser Juni ist großartig! Am Ende beginnen die Sommerferien und damit meine Sommerpause. Zu Beginn stand eine intensive Auseinandersetzung mit Systemtheorie auf dem Plan. Erster Stopp: das 10. SWF Forum in Berlin zum Thema Paradoxiemanagement. Es war großartig. Mit 200 Kolleg*innen über die Phänomenologie der Paradoxien und ihre Nutzung in der Beratungspraxis nachzudenken, war so inspirierend wie herausfordernd. Ich versuche, die gedankliche Perlenkette aneinanderzureihen und kennzeichne ihren Ursprung, ohne noch wörtlich zitieren zu können.
Die Welt da draußen (Wirklichkeit im ersten Sinn) kennt keine Paradoxien oder Widersprüche. Sie ist, wie sie ist. Unsere Konstruktion oder geistige Repräsentation von Welt (Wirklichkeit im zweiten Sinn) ist durch Unterscheidungen geprägt. Und diese Unterschiede erzeugen Paradoxien oder Widersprüche. Einerseits innerhalb jedes Einzelnen (should I stay or should I go now?), vor allem aber innerhalb von komplexeren Systemen wie Organisationen, die durch multipolare Kontingenzen (Unbestimmtheiten) geprägt sind (sollen wir zentralisieren oder dezentralisieren). Der Normalzustand der Rekonstruktion von Welt, also unser Verhalten in ihr, ist die Oszillation zwischen den Polen des Unterschieds (stay – go. Aufstehen, Liegenbleiben). Eine Entscheidung stellt diese Oszillation fest. Feststellungen sind aber die Ausnahmen (Fritz B. Simon). So entsteht das Phänomen in Organisationen, Menschen, politischen Systemen etc., dass jede Entscheidung „sofort den Gegensinn weckt“ (Detlef Pollack, frei nach Goethe), also eine Energie wider die Entscheidung.
Übersetzt in einfache Sprache für den Führungsalltag: Die Wirklichkeit in Organisationen wird durch Gegensätzlichkeiten beschrieben. Diese gilt es zu managen, in dem Wissen, dass es keine richtige und immer gültige, sondern nur eine temporäre Entscheidung geben kann – die niemals endgültig richtig ist. Diese Denkfigur entlastet und belastet zugleich: Im Wissen, ohnehin nicht richtig und vor allem nicht für alle Zeit entscheiden zu können, sollte Entscheiden eine leichte und vor allem reversible Sache sein. Allerdings erwächst aus diesem Denkmodell auch die Verantwortlichkeit darüber nachzudenken, ob man hier gerade den richtigen und relevanten Unterschied entscheidet oder ob eine Entscheidung überhaupt mehr Nutzen bringt als eine fortgesetzte Oszillation. Mit der eigenen Weltkonstruktion transparent und resonanzfähig umzugehen, ist eine der Kernkompetenzen für Entscheider.
Elena Esposito legte noch eine Schippe drauf, indem sie zu Beginn der zwei Tage kurz und knapp die logische Paradoxie von den erlebten oder pragmatischen Paradoxien abgrenzte. Diese kann nicht entschieden werden und stellt uns vor größere Probleme. Sie entsteht meist dann, wenn ein Unterschied auf die zugrunde liegende Kategorie angewandt wird. Gut und Böse sind beispielsweise Begriffe der Kategorie Moral und lassen sich als Unterschiedskategorien gut beschreiben. Ist aber moralisches Denken gut oder böse? Detlef Pollack entführte uns in die Religionssoziologie, in der dies auch deutlich wird: Alles Transzendente kann nur immanent wahrgenommen und besprechbar werden. Gibt es denn dann die Transzendenz, wenn sie nur in der Immanenz begreifbar wird? Erneut bewegen wir uns in unterschiedlichen Schichten der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit im ersten Sinn ist ausschließlich transzendent, die erlebte Wirklichkeit (die im zweiten Sinn) immanent.
Auch diese Form der Paradoxien begegnen uns in Organisationen, gut zu beobachten in der sogenannten Selbstorganisation oder hierarchiefreien Organisationen, die über eine Vielzahl an prozessualen Regelungen dem Selbst wenig Organisationsspielraum bieten und nach Kühl eine strenge Hierarchie der Bürokratie errichten. Der Versuch, die Unzufriedenheit über Beteiligungsformate über ein Beteiligungsformat zu lösen. Eine Dienstberatung zum Thema: Wir müssen kreativer werden zu organisieren. Oder ganz lebenspraktisch die Forderung in Beziehungen, doch bitte aus eigenem Antrieb Blumen mitzubringen.
Der sehr breite Paradoxiebegriff ermöglicht hier eine gute Beschäftigung mit den Problemen, vor denen Management üblicherweise steht. Wie und ob der engere (logische Paradoxiebegriff) für organisationales Handeln nutzbar gemacht werden kann, diese Frage nehme ich mit nach Leipzig und freue mich über Diskussionen dazu! Ich habe schon fürs nächste Jahr reserviert, wenn es um KI und Kommunikation gehen wird.
Next Stop: Vienna Calling! Mit Barbara Heitger durch die letzte Version der Change Essentials. Ich freue mich drauf!